Tim Ferriss „The 4 hour Chef“ und Metalernen – eine Methode, um alles zu lernen?

Weisheit so einfach wie eine Spritze

In Tim Ferriss‘ Buch The 4 hour Chef geht es um das sogenannte Metalernen. Metalernen ist das häufig geforderte Lernen des Lernens. Angeblich würden Lehrer versäumen uns dieses in der Schule beizubringen. Was ist also dran am Metalernen? Und warum lehren wir es nicht an Schulen?

Tim Ferriss hat die Methode des Metalernen erfolgreich vermarktet. Allein der Trailer zu seinem Buch hat 1,3 Millionen Klicks auf Youtube.

Worum geht es in dem Buch?

Zunächst ist das Buch ein Buch über das Kochen. Der Koch-Legastheniker Ferriss hat sich hierbei jedoch vorgenommen, nicht nur das Kochen zu vermitteln. Er will das Lernen über dieses Medium des Kochenlernens erklären. Leitfrage ist: Wie schaffen wir es Dinge schnell zu erlernen?

Was ist unter schnellem Lernen zu verstehen?

In folgendem Video behauptet Ferriss beispielsweise, dass man jede Fähigkeit in 6 Monaten erlernen kann, so dass man zu den Top 5 Prozent der jeweiligen Disziplin gehören würde.

Gibt es Beweise für das schnelle Lernen?

Vielleicht ist dieses schnelle Lernen für einfache Fähigkeiten möglich, aber ich würde Ferriss dazu herausfordern, dies für Schach zu erreichen oder Chinesisch in 6 Monaten zu erlernen. Selbst Scott Young hat dieses, obwohl er sich darauf fokusierte nicht erreicht. Sein neues Buch mit dem dämlichen Titel Ultralearning schlägt in dieselbe Bresche von Ferriss, doch auch Scott Youngs Erfolge sind fragwürdig, wie man an seinem Chinesisch Video sehen kann:

Chinesisch sprechen, bedeutet eben nicht halbgare Sätze über Essen in die Kamera zu sprechen. Ich bezweifle, dass sie auch nur einen Satz von Einheimischen verstehen oder kommunizieren können.

Aus dem selben Grund bezweifle ich stark, dass man zu den Top 5 Prozent in 6 Monaten aufsteigen kann, vor allem wenn der Lernstoff eine komplexe Fähigkeit bedeutet. Für Ferriss spricht jedoch seine Biografie. Tim Ferriss hat eine zunächst beeindruckende Karriere hinter sich, um sein Lernprinzip  zu verteidigen:

– Kickboxweltmeister 1999
– Halbfinale in der Tangoweltmeisterschaft (nach einem halben Jahr Praxis)
– Verschiedene Beteiligungen und Entwicklung an erfolgreichen Internetstartups
– Ein Jahreseinkommen von 400.000 Dollar mit einer 4 Stunden Arbeitswoche
– New York Bestsellerliste Nr. 1 mit the 4-hour-work-week und the-4-hour-body
– Den erfolgreichsten amerikanischen Podcast

Ferriss hat im Weiteren zu seinem Metalernen einige Sendungen konzipiert, die seinen Erfolg unter Beweis stellen sollen. In jeweils wenigen Tagen versucht er darin, eine komplexe Fähigkeit zu erlernen.

Die einzelnen Shows hingegen zeigen, dass er im Details eben nicht in die einzelnen Fähigkeiten sehr schnell eintauchen kann. Die Sendung zum Tagalog lässt einen teilweise vor Fremdscham erröten. Die einzelnen Schnitte können nicht verbergen, dass er die Sprache nicht in Ansätzen beherrscht:

Ferriss Erfolge sind daher fragwürdig. Kickboxweltmeister wurde er dadurch, dass er die Grenzen der Regeln ausreizte. Auch sein Tango-Weltrekord wirkt behäbig:

Die Tango-Halbfinals scheinen zudem nur die Stadmeisterschaften zu sein. Der Gewinner würde zum Tango-Finale kommen ohne den aufwendigen Qualifikationsprozess:

Das Buch zum Metalernen ist unterhaltsam, aber fragwürdig. Hier ist eine ausreichende Zusammenfassung seiner Ideen:

Für alle, die dennoch neugierig auf das Buch sind, hier ein paar Auszüge, die Tim Ferriss vorab auf seinem Blog veröffentlicht hat:

Front Matter:  (PDF, blog post)
Introduction:  (PDF, blog post)
Meta-Learning:  (PDF, blog post)
The Domestic:  (PDF, blog post)
The Wild:  (PDF, blog post)
The Scientist:  (PDF, blog post)
The Professional:  (PDF, blog post)

Warum ist Tim Ferriss erfolgreich?

Positiv anzumerken ist, dass Tim Ferriss‘ Meta-Lernen ohne Drogen funktionieren soll. Wie ich schon in anderen Beiträgen beschrieben, kann beispielsweise Ritalin nicht der Weg sein. Das Problem ist jedoch, dass Lernen, das heißt die Ausbeutung des Selbst zu einem Teil unserer Gesellschaft geworden ist, dessen Marktlücke Ferriss für sich abschöpfen kann. Er ist eine Softversion der vielen Motivationstrainer und entstammt dem Sillicon Valley Milieu. Simon Roloff hat dieses Milieu in einem kürzlich erschienenen Artikel der Zeit exzellent beschrieben. Dabei hat er auch die Hintergründe für den Selbstlernboom beschrieben:

„Entscheidend ist eine Erfahrungsgemeinschaft der Abstiegsangst, die sich zu einem Großteil aus der Mittelschicht rekrutiert, wo die symbolischen wie materiellen Privilegien in Zeiten wachsender ökonomischer Konkurrenz und verknappter Ressourcenlage besonders bedroht sind. Auch hier in Chicago versammelt sich diese desperate class des geteilten Horizonts einer Untergangserwartung, die sich die Abwendung der Apokalypse vom Abbau der letzten vorhandenen Ressourcen verspricht, in diesem Fall der Ressourcen des kreativen Selbst.“ (ZEIT-Artikel)

Die „desperate class“ versucht den Untergang durch schonungslose Selbstveränderung abzuwenden. Nach Roloff betrifft dies die „Transformation der Unter- und Mittelschicht […] eine ‚kreative Klasse‘ urbaner Selbstverwirklicher.“ Er schreibt weiter

„Die Ressourcenwerdung des Selbst im Hinblick auf möglichen symbolischen Kapitalgewinn wird begleitet und befördert vom Wegfall ökonomischer Ressourcen der Mittelschicht. An dieser Stelle setzen pädagogische Kulturtechniken des kreativen Selbst an, die im Fall von Unleash The Power Within das Disziplinierungsgestell zu all den gouvernementalen Anreizverfahren und Zielvorgaben bilden – die schwarze Pädagogik des angeblich so sanft und organisch sich entfaltenden Kreativitätsdispositivs.“

In anderen Worten Tim Ferriss‘ Buch ist nur ein Teil der neuen Selbstausbeutung, nachdem die Arbeitswelt keine hirnlosen Stellen mehr offeriert. Man kann den Kreativtrend von zwei Seiten betrachten: Unsere Arbeit wird vielfälter und anspruchsvoller, aber damit schneidet sie auch tiefer in das, was wir sind.

Warum lernen wir Meta-Lernen nicht in der Schule?

Eine Antwort wäre, dass Meta-Lernen das Wunschkonzept einer Kreativklasse ist, die nicht versteht, dass Selbstveränderung eine Illusion des neuen Kapitalmarktes ist. Eine andere simplere Antwort ist womöglich, dass Schule sich beständig versucht zu reformieren. Transferleistung zu erreichen, war dabei immer ein zentraler Bestandteil. Auswendiglernmethoden sind dabei häufig Taschenspielertricks und spielen in Schulen eine untergeordnete Rolle. Hierzu gehört Metalernen. Warum? Eine komplexe Fähigkeit erfordert sehr abstraktes Denkvermögen und jahrelanges Training. Letzteres kann die Schule ohne Eigenmotivation der Schüler und ohne konkrete Unterstützung der Eltern nicht leisten. Man muss auch berücksichtigen, dass wir es nicht nur mit 18-Jährigen zu tun haben, die hungrig sind, sich endlich selbst zu entfalten und dazu auch die Fähigkeiten haben. Schule beginnt bei Kindern, die zunächst die wesentlichen Kulturtechniken erlernen müssen. Es geht bei Schule häufig darum, Kinder an das abstrakte Denken zunächst heranzuführen. Neben der Mathematik stehen dabei Grundlagen wie Lesefähigkeit im Programm. Deren Erwerb kann nicht durch Spaziergänge durch Gedächtnispaläste gelöst werden, sondern bedeutet eben auch harte Arbeit. Lernen ist womöglich nicht nur an Kreativität gekoppelt, sondern auch harte Arbeit. In diesem Sinne ist Metalernen womöglich nicht für den schulischen Erfolg notwendig, weil es zunächst keine eindeutigen Prinzipien gibt, die für jeden Stoff anwendbar sind und zum zweiten weil jemand, der abstraktes Problemlösungsverständnis dann schließlich erworben hat, sein individuelles Metalernen selbst schnell und nebenbei erwirbt.

Wie könnt ihr mich unterstützen?

Ich würde mich freuen, wenn ihr meine Arbeit auch honorieren würdet. Dies könnt ihr in verschiedener Weise erreichen. Wenn ihr auf dem Laufenden bleiben wollt, dann abonniert mich per E-mail oder tretet der Facebookgruppe oben rechts bei. Eine Patreon-Page sollte oben rechts zu finden sein.

Dr. Norman Schultz, Jinan (China), Juli 2019

(Titelbild: Yousuf Karsh [Public domain], via Wikimedia Commons).

Anmerkungen: Tim Ferriss ist der erste Autor, der unabhängig von den Verlagen nur bei Amazon unter Vertrag ist. Dies hat dazu geführt, dass die traditionellen Buchverlage sein Buch boykottierten, was ihm möglicherweise den New-York-Bestseller-Listen Platz 1 verhagelte. Tim Ferriss hatte dann einige Maßnahmen auf seinem Blog veröffentlicht, um die Werbetrommel zu rühren. Wenn ihr 4000 Bücher gekauft hättet, dann hättet ihr euch Vorträge von Tim Ferriss zu eurer Lieblingszeit in der USA oder in Kanada aussuchen können. Der Mann ist eine Marketingmaschine und sein Blog lohnt sich allein deshalb: Tim Ferriss Blog.

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