Prechts neue Sendung und der Skandal „Schule“ – Verblödung war schon immer blöd

Sonntag löste nun Richard David Precht den Modephilosophen Sloterdijk ab und beerdigte damit seine Sendung „Das philosophische Quartett“ endgültig. Mit eitlem Namen „Precht“ musste die Sendung einschlagen, damit die Nachrufe auf DEN deutschen Medienphilosophen (zumindest steigt sein Name in Amerika auch gerade wie ein kleines Sternchen auf) nicht zu laut werden, zudem verspricht der Name Einnahmen, die mit trockeneren Titeln nicht erreicht worden wären. Entsprechend nahm sich der Philosoph für die Heimchen vom Herd den Lieblingsfeind aller Bildungsverlierer vor. Da kann der Bildungsprolet am Sonntag Abend nochmal die Flasche Wein öffnen und nickend ganz spätromantisch den Frust einer kommenden Arbeitswoche vorverdauen (nebenbei vielleicht noch stolz auf seine Büchersammlung sein). Die Front jedes Bildungshalbstarken mit Allgmeinbildungsfetischismus sollte eigentlich eine gemeinsame Front mit diesem Blog sein. Mit Prechts Volksdemagogie aber offenbarte sich weniges, womit ich in diesem Blog einhergehen könnte. Dass Schule sich verändern muss, ist klar und eine Forderung, die in dem Begriff „Bildung“ selbst steckt. Nach welchen Kriterien aber Bildung reformiert werden muss, auf dieses analytische Feld ließen sich sowohl Precht als auch der Neurobiologe Hüther als Gesprächspartner nicht ein. Stattdessen gab es Kriegspropaganda mit seichten Argumenten, die grobschlächtig den Untergang unserer Zivilisation prophezeiten: „Entweder wird es unsere Gesellschaft in 10 Jahren nicht mehr geben oder es wird die Schule nicht mehr geben.“ (Titelbildnachweis: Bundesarchiv, Bild 102-11307 / CC-BY-SA [CC-BY-SA-3.0-de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons)

Precht der Philosoph der Herzen, den auch noch die Hausfrau bzw. der philosophisch-interessierte Hausmann in seiner Küchenzeile versteht, wenn das Öko-Steak schon in der Pfanne bruzelt, brillierte dabei süffisant mit vorgefertigten Floskeln „Ist Bildung das, was übrig bleibt, wenn wir alles vergessen, was wir in der Schule gelernt haben?“ Mit Saubsaugervertreterattitüde verkauft uns Precht geschickt ein Produkt, das allemal besser ist, was wir bisher in den Schulen hatten (Ãœber jenen Staubsaugervertreter macht sich auch die FAZ her).

Philosophie im modernen Rahmen

Nun wenn Philosophen in den Medien antreten, so können sie heute nicht mehr nur mit Gedanken brillieren, das Ambiente muss stimmen. Das Intro der Sendung machte daher schon von Anfang an klar, was Philosophie im Fernsehen bedeutet: Schwulstige Amelie-Musik und hippe Kamerafahrten wie eine hypermoderne Roboterstimme verraten uns, dass es jetzt so richtig los geht: „Connection established“ (Ich glaube übrigens das erste, was wir in der Zukunft abschaffen, sind Roboterstimmen). Da blüht dem Waldorf-Pädagogen auf der Couch das Herz. 

The Sounds of Earth Record Cover - GPN-2000-001978

Wir haben Wissen aus der Vergangenheit ins All geschossen! By NASA/JPL Public domain, via Wikimedia Commons

Kommen wir aber zum Inhalt, den jeder Schüler in seiner Abiturarbeit runterleiern könnte: Unser Land steht vor den düsteren Horizonten der totalen Verdummung. Intellektuell drohen wir vollkommen auszulaufen. Die Schule verblödet uns immer mehr, denn Precht stellt bauernschlau fest: „Wir aber überhäufen sie [die Kinder natürlich] mit Wissen, das aus der Vergangenheit stammt.“ Böses Wissen aus der Vergangenheit, das klingt irgendwie als wären die Leute aus der Vergangenheit noch blöder als wir gewesen. Wissen aus der Vergangenheit, das kann ja schonmal nichts gutes sein. Was stellt der Herr Precht sich aber vor? Dass wir Kinder im Unterricht heute über die neuesten Sexualpraktiken unterrichten, die es etwa nicht schon seit Anbeginn der Menschheit gab? Klar, wie anders sollte etwa ein Durchschnittsjugendlicher noch verstehen, was Britney Spears so treibt (aber halt, die ist ja schon aus meiner Vergangenheit und womöglich weiß ich überhaupt nicht, was bei der Generation „Generation“ heute so los ist.) Ich habe ehrlich gesagt, nicht die geringste Ahnung, welches Wissen aus der Vergangenheit Precht meint und auch nicht, was Precht zu ändern gedenkt. Womöglich sollten wir die Vergangenheit lieber auf Facebook verbreitern und durch Twitter channeln, wenn dann schließlich die Schulklingel durch ein „Connection established“ und ein „Connection aborted“ abgelöst wird, hätten wir es geschafft.

Ich gebe zu, ich mache mich unnötig lustig, aber gerade hierin liegt der Hauptmangel der Sendung. Anstatt mit wirklichen Alternativen zu argumentieren, überhaupt die gegenwärtige Situation zu würdigen und differenziert zu analysieren, bleibt alles im Vagen und selbst Nachweise für die Katastrophe vor unserer Haustür bleiben aus. Ich glaube derweil nicht, das Deutschland sich aus Blöden zusammensetzt, glaube aber, dass wir das bisherige Erfolgsmodell der Schule weiter reformieren müssen, um es noch erfolgreicher zu machen. Um dies aber nicht auch im Vagen zu lassen, diskutieren wir konkret die Kritik von Hüther und Precht.

Kinder leiden nach Precht an Schulen. Bis zu ihrem Abitur haben sie „100.000 Stunden Unterricht erlebt, erduldet erlitten“. Das wichtigste Potenzial, die Lust am Lernen, hätten sie dabei nicht bekommen. Im Gegensatz dazu bestehe Schule aus „Bulemielernen“. Für Precht bedeutet dies: Reinfressen und sich in der Klausur übergeben, wobei der Nährwert gering bleibe. Gerade weil so die Kinder das Gelernte nicht mehr mit Bedeutung füllen könnten, würden Fünf Prozent die Schule ohne einen Abschluss verlassen. HartzIV ist dann nach Auffassung von Precht vorrangig eine Entschädigung für nicht gewährte Chancengleichheit.

Statt feinerer Analysen gibt es Graswurzelrevolutionsparolen im Biene Maja TV. Precht spricht teilweise als moderiere er die Sendung mit der Maus, aber zum Inhalt: Im Gegensatz zu Precht glaube ich nämlich nicht, dass Kinder durch Schulen in den fürchterlichen HartzIV-Sumpf getrieben werden. Ich glaube eher, dass Misserfolge im Bildungssektor durch die dramatischen Zahlen des Kindesmissbrauchs zu erklären sind, [http://netzwerkb.org/2012/04/04/jeder-achte-ist-betroffen], so dass viele vielleicht nicht einmal an die Gesellschaft glauben. Wer von zu Hause Minderwertigkeit eingeimpft bekommt, kann in einer Schule eben nicht ohne Weiteres bestehen. Vielleicht gibt es hier soziale Momente, in denen auch Lehrer einfach nur machtlos sind. Gerade Hüther als Neurobiologe hätte dieses wissen können. Seine Arbeiten verweisen gerade auf die verschiedenen, resultierenden Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen. Eine differenzierte Analyse bleibt aus, denn die Parole wirkt.

Die Verkennung der sozialen Realität bleibt auch später erhalten: Das konkrete Rezept für die Schule von Precht lautet da nämlich ganz inkonkret: Eingliedriges Schulsystem, Frühförderung im Kindergarten, Coaching. Am Ende würden dann nach Prechts ungeheurer Revolution 80 Prozent Abiturienten in Deutschland entstehen. Doch Moment, Precht verkündet hier wohl eine Revolution, die ohnehin schon im vollen Gange ist. Mittlerweile machen mehr als 50 Prozent der Schüler in NRW ihr Abitur. Dies sind enorme Bildungsschübe in den letzten Jahrzehnten. Die Marke von 80 Prozent werden wir daher wohl auch ohne die glorreichen Ideen des Herrn Precht knacken. Unter weiterer Verkennung (oder sagen wir ohne Ansätze die sozialen Realitäten ernsthaft zu diskutieren) parliert Precht über das „Gift des Bildungsbegriffs als Distinktionsbegriff“. Precht prognostiziert nämlich eine herrische Gegenbewegung der Eltern, die die Gerechtigkeit in unserem System nicht wollen würden. Eliteeltern wollen doch keine Bauernjungen und Mädchenmägde in ihren Klassen! Meines Erachtens versteht Precht hier allerdings nicht die Dynamik sozialer Systeme. Gibt es denn wirklich eine Mehrheit elitärer Eltern, die sich bewusst dafür aussprechen, andere Schichten nicht zu bilden, um selbst zur Bildungselite weiter zu gehören? Precht tut so, als würden elitäre Eltern tagtäglich Intrigen spinnen, um anderen den Bildungszugang zu versauen. Die Realitäten liegen doch aber wohl nicht in bewussten Bewegungen, sondern in den unbewussten Handlungen von Eltern, die ihre Kinder lieber auf eine ordentliche Schule bringen, als sie in einer Schule mit hohem Immigrationshintergrund andere Kinder integrieren zu lassen. Das Problem liegt nicht darin, dass Bildungsbürger sich gegen aufkommende Schichten bewusst wehren, sondern dass sie individuell für IHRE Kinder das Beste entscheiden wollen und hierbei an Sozialstrukturen gebunden sind. Diese Prozesse müssen konkret analysiert werden, anstatt eine Weltverschwörung der Eliteeltern zu vermuten. Dieses erwarte ich von einem derartigen Expertentalk, das zumindest auch die Frage nach Sozialstrukturen aufkommt, wenn es um Entscheidungsprozesse dieser Art geht.

Citizen-Einstein

In Prechts Schule bekommt in Zukunft jeder einen Nobelpreis By Al. Aumuller Public domain, via Wikimedia Commons

Unabhängig von treffenden Sozialanalysen können wir aber auch immer gleich ein paar Begriffe unterscheiden. Hüther stellt daher fest: Bildung sei etwas, was wir nicht in Metaphern messen können, denn Bildung ist etwas was sich ereignet. Bildung könne man schließlich nicht erfolgreich abschließen, sondern Bildung müsse gelingen. Was aber sind die Kriterien für eine gelungene Bildung? Ein neuer Allgemeinbildungsfetischismus, wo Menschen auf der Straße bedeutungsschwanger Goethezitate dreschen und exzessiv Theatervorstellungen wie auch klassische Orchester besuchen, die eben doch irgendwie aus der Vergangenheit kommen? Was genau soll gelungene Bildung sein? Menschen, die nur noch sensibel miteinander umgehen und dafür eben mal verzeihbar nicht das Einmaleins gelernt haben, weil Körpererfahrung und die Neugier dafür doch viel wichtiger war? Ohne Kriterien kann eine solche Diskussion nicht gelingen und soweit ich mit den Herren mitgehe, dass unser System kritisiert werden muss, so lehne ich es doch nicht vollends ab. Ich glaube zwar nicht an Belohnung und Bestrafung, aber Lesen, Schreiben, Rechnen habe ich dann doch irgendwie in der Schule gelernt. Wir haben die Schule doch nicht als vollkommene Blödmänner und Deppen verlassen (oder habe ich das etwa doch, ach ja richtig, so heißt es an anderer Stelle, ich wäre womöglich schon Nobelpreisträger, wenn nur ein anderes System für mich dagewesen wäre). Ich bin daher auch nicht für eine grundlegende Revolutionen, denn es würde teuer werden, wenn wir Precht einfach mal so machen lassen würden (gerade seine Sendungen sind doch eine fortwährenden Unterforderung). Eher bin ich dafür leistungsorientiert zu unterrichten und Erfolge der Schulen schnell abprüfbar zu machen. Dabei kommt es schon ganz richtig nicht mehr darauf an, ein ganz bestimmtes Wissen zu unterrichten, sondern die Schlüsselmethoden aufzusuchen. Es käme darauf an, endlich Philosophie als Erkenntnisdisziplin zu etablieren, woher sich alle Wissenschaften ihre Prinzipien borgen und nicht die Philosophie als Weltanschauungspalaver wie Precht es praktiziert und es wohl auch vor hat, an die Schulen zu bringen.

Bei all der Oberflächlichkeit aber ist der Moment gekommen, dass uns Precht und Hüther über einen Mann der Vergangenheit unterrichten. Bildungskritik muss heute schließlich immer mit einem bisschen Humboldt gepanscht werden: Bildung bedeute also nicht Wissen in Kindern zu stappeln. Kinder wären demnach keine Fässer, die gefüllt werden müssten. Bildung sei Anleitung zur Selbstbildung. Nur wenn ich selbst lernen kann, findet ein Bildungsprozess statt.

Sollten wir an dieser Stelle eigentlich Punkte von Prechts und Hüthers Darlegungen abziehen, weil sie den Begriff „intrinsische Motivation“ nicht gebraucht haben oder lieber ein Bienchen ins Hausaufgabenheft drucken, weil sie gekonnt darauf verzichten? Bildung zur Selbstbildung erscheint mir schließlich als logischer Widerspruch, der zumeist nur auf den ersten Eindruck überzeugend klingt. Wenn Bildung ein Moment ist, dass nur aus sich selbst enstehen kann, dann können wir keine externen Anreize in einem System setzen, denn dann wäre sie extern veranlasst. Intrinsische Motivation daher extern motivieren zu wollen, erscheint mir nur als Parole, wobei es sich in Wirklichkeit nur um extrinsische Motivation handelt. Dann aber sprechen wir von Systemen und nicht von dem unbedingten Ereignis der Selbstgewinnung. Auch übersehen Precht und Hüther, dass Lehrer diese extrinsische Motivation dann durchaus wollen. Wer täglich vor einer Klasse steht, der fragt sich, wie er die Schüler dazu bekommt, lernen zu wollen. Da hilft es leider nicht, wenn Precht und Hüther Lehrer zu Externalisierern intrinsischer eines Was- auch- immer machen oder Lehrer noch schlimmer zu Potenzialentfaltungscoaches umbenennen. Ich verstehe es daher eher so, dass Schule und Universität in bestimmten Fällen, intrinsischen Interessen bestimmter Schüler im Weg stehen, einfach weil sie Zeit rauben. Der größere Anteil der Schüler aber geht mit gewonnener Zeit nach Hause und macht, was die Generation „Generation“ ebenso macht, aber kommt nicht auf die Bildungsspuren von Humboldt. Ich bin der Ãœberzeugung, dass der Bildungsbegriff von Humboldt hier zumeist ein Ideal ist, wir aber ohne Daten wenig gewinnen. Revolutionen sind teuer, warum also nicht die Schritte zur Veränderung aufsuchen, anstatt mal kurz die gesamte Mannschaft über Bord zu werfen und eine neue, aber ungewisse Schule ohne Personal und Konzept zu bauen?

Hüther stellt daher fest: Wir wüssten nicht, wofür wir die Schüler ausbilden wollen, aber Bildung sei doch viel mehr. Klar, dass wenn wir wir schon keinen expliziten Bildungsbegriff haben, wir nun auf die Tränendrüse drücken. Bildung, so romantisiert der Hirnforscher, da gehört doch sowas wie Herzenbildung zu. Und Precht weiß auch sofort: Die Aufklärung war doch schon immer ein Feind des Leibes und so hätten ängstliche Vernünftler Kinder stets nur als Köpfe ohne Emotionen betrachtet. Hüther weiß „Wir behandeln Kinder wie Objekte!“ Stillgesessen und aufgepasst.

Was aber ist die Alternative? Wie 30 Kinder zum Zahlengedächtnis bringen? Etwa durch Ringelpietz mit Anfassen oder Tore beim Fussball zählen lassen? Ich glaube es ist eine monströse Aufgabe, Kindern lesen über Jahre beizubringen. Für motivierendere Methoden brauchen wir konkrete Vorschläge und nicht etwa eine weitere Theorie, die besagt einige Kinder sind eben so visuelle Typen so. Ich glaube nicht, dass Kinder allein mit Motivation, die schwere Technik des Lesens lernen, ich lasse mich aber gerne konkret umstimmen.

Wie dem auch sei: Der emotionale Zeitpunkt ist gekommen, Hüthers Gegenthesen vom begabten Kind einzustreuen. „Jedes Kind ist hochbegabt“. Wir sind schließlich mehr als das analytische Können unserer Gesellschaft. Hüther schwärmt sogleich über Kinder, die ganz viel können. Das eine Kind könne ganz toll mitfühlen, das andere hätte ein ganz sensibles Körpergefühl. Na wenn hier nicht der Baum des Pluralismus durch die Worte von Hüther in höchster Blüte steht. Gegen die Ãœberbleibsel vom Maschinenzeitalter weiß Hüther mit Hirnforscherautorität nämlich ganz genau, das Hirn sei kein Muskel, der trainiert werden könne. Dies sei Hirnmechanik aus dem vorherigen Jahrhundert (die ich hier übrigens in einigen Anteilen vertrete). Man könne nur etwas im Gehirn nachhaltig verändern, so Hüther, wenn es unter die Haut geht. Bildung ist nur das, was durch Emotionen Begeisterung ausgelöst hätte und in diesem Sinne in uns geblieben wäre. Dass es aber durchaus Steigerung durch dröges Ãœben gibt, unterschlägt Hüther wohl. Auch gibt es durchaus Studien die darlegen, dass Schüler unabhängig von der Laune Wissen gleichermaßen erwerben und es ihnen bei fröhlichen Lehren einfach nur mehr Spaß macht, sich dies aber nicht auf den Lerneffekt auswirkt. Umgekehrt habe ich aber auch nichts gegen emotionales Aha-Lernen einzuwenden. Die Aufgabe dieses spannende Lernen aber gegen das gesammelte Unterhaltungsangebot der Generation „Generation“ permanent aufzubieten, erscheint mir als Ding der Unmöglichkeit, auch wenn es eines meiner Ideale ist.

Gandhi microscope

Bildung ist für alle gut! See page for author Public domain or Public domain, via Wikimedia Commons

Nun der Abend wurde lang und so war die Zeit gekommen, um das allgemeine Zensurenbashing durchzuführen. Potenzialentfaltungscoaches (Wir danken Gott für diese kreative Wortschöpfung) würden im Schüler ein Interesse daran entwickeln, sich selbst einen Stoff anzueignen und hierfür brauche es schließlich keine Noten. In der Wirtschaft, so weiß Hüther, habe sich schon herumgesprochen, dass man sich auf die Noten der Schulen nicht verlassen kann. Eliten müssen daher an den Eliteuniversitäten erstmal in der Bronx unterrichten. Abitur 1,0 sage demnach schon lange nichts mehr über die Performance aus. Perfomancer haben Leidenschaft. Bildung finde schließlich außerhalb der Schule statt.

Ich stimme natürlich damit überein, dass Bildung nicht in einem System stattfinde. Die Aufgabe der Schule ist aber auch nicht, einem verschwobenen Bildungsbegriff gerecht zu werden, der sich in den Zeiten bestimmt. Womöglich ist Bildung so etwas wie der Durchgang des natürlichen Bewusstseins durch die phänomenalen Erscheinungen der Welt, um schließlich beim Grund aller Prinzipien anzugelangen. Womöglich ist hierzu Phänomenologie nötig. Ich bezweifle allerdings, dass Precht sich dieser Bildungsfragen, die sich doch zugleich aus dem 19. Jahrhundert herleiten, wirklich bewusst ist. Für Hüther und Precht ist Bildung ein Begriff, der das bezeichnet, womit sie irgendwie unzufrieden sind. Auch bei der Zensurenkritik des Schulsystems bestechen die Herren daher nicht gerade durch stichhaltige Argumentation. Schlechte Noten sind an den Eliteuniversitäten zumeist noch Ausschlusskriterium, wie aber dann zwischen all den exzellenten Bewerbern entscheiden? Es zeigt sich nämlich sehr deutlich, dass der Schnitt der Abiturienten auch in Deutschland immer höher wird. Die Eliteuniversitäten wie auch immer mehr Unternehmen greifen dann aus diesen Gründen auf Zusatzkriterien zurück, weil sie doch zwischen sehr guten Bewerbern wählen dürfen. Schließlich aber wollen sie auch mit der zusätzlichen Bildung nur messen und haben kein Interesse an einer philosophischen Selbstbewusstseinstheorie der Bildung.

Beim allgemeinen Zensurenbashing fällt Precht da auch der begnadete Menschenfreund ein, der trotz seiner Begabungen nicht Medizin studieren darf (den will natürlich jedes Hospital eigentlich haben). Diese Fälle gibt es natürlich immer (wie viele aber sind es, die das nicht einfach nur vorgeben oder bei denen wir es vermuten? Wo sind die Zahlen, die eine Abschaffung des Numerus Clausus rechtfertigen würden?) Ganz ehrlich wollen wir uns von jemanden behandeln lassen, der in der Schule seine Hausaufgaben verschlampt hat und nicht die Kraft hatte, sich für die Welt der Zahlen zu motivieren. Brauchen wir Chirurgen, die den einen Tag mal motiviert sind und den anderen Tag ihre Disziplin über Bord werfen und schwerwiegende Kunstfehler machen? Ich gebe zu: Wir diskutieren im Plausiblen und Vagen. Wie viele sind es denn, die nachweislich das Zeug zum guten Chirurgen hätten, denen aber die Schule den Weg verbaute? Mit derlei hypothetischen Beispielen kommen wir schlecht voran.

Nach fast einer Stunde Phrasengedresche rückt Hüther an dieser Stelle endlich mal mit einer Gegenposition hervor. Er sei nicht gegen die Abschaffung der Zensuren, was Precht mit verzogener Geste überhört und zum nächsten Thema leitet. Precht versteht nämlich nicht, das Arbeit an der Gesellschaft nicht aus Parolen besteht, die auch noch die Großmutter in einem schönen, gebundenen Buch auf den Nachttisch legen kann, sondern aus Diskursen. Ohne diese Einsicht des fortwährenden Diskurses aber beendet Precht die Sendung, mit seiner Ansicht, dass wir kein Erkenntnisdefizit hätten, sondern ein Umsetzungsdefizit. Nach den mageren Erkenntnissen der Sendung aber sollte jeder mit unserem minderwertigen Abitur dennoch widersprechen können. Schulen werden auch nach der nächsten Reform noch reformiert werden müssen. Reformieren aber besteht aus konkreter Analyse. Irgendwo in der Sendung schaut Precht daher hilflos über seinem Wasserglas in die Welt. Bemerkenswert, dass die Sendung ohne Alkohol auskam. Ich befürchte aber, dass Prechts Vision von einer besseren Schule eher eine betrunkene Version von Schule hervorbringen würde. Ich bin überzeugt, dass abgesehen von der permanenten Unterforderung Prechts Schule zumindest unterhaltsam wäre. Prechts Schule wäre schließlich so etwas wie Drunk History:

Weiterführende Informationen

  • Hüther erwähnt, dass heute erste Trisonomie 21 Kinder ihre Abschlüsse machen – Ich bin für einen ähnlichen Förderansatz auf meinem Blog Entgrenzen, wo ich mich mit dem Phänomen der Behinderung auseinandersetze, denn meiner Auffassung sind wir alle behindert. Die ersten Fälle dieser gebildeten Menschen mit Behinderung bespreche ich dort.
  • Zum Superphilosophen Precht und der Entlassung Peter Sloterdijks habe ich auch einen Artikel auf meinem Blog geschrieben.
  • Auf unserem Blog „www.pusteblumenbaby.de“ haben wir natürlich auch einige Darlegungen zur Erziehung ergänzt.

Vielen Dank an alle, die bis hierher gekommen sind. Wenn ihr in Zukunft mehr Beiträge lesen wollt, dann added mich doch bitte bei Google+, abonniert mich per E-mail oder tretet der Facebookgruppe oben rechts bei. Über weiterführende Links oder Kommentare freue ich mich natürlich sehr. Norman Schultz.

Connection aborted.

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7 Antworten auf Prechts neue Sendung und der Skandal „Schule“ – Verblödung war schon immer blöd

  1. Franz Josef Neffe sagt:

    Nicht LERNEN macht dumm sondern UNTERRICHTETWERDEN. Unterricht richtet
    nach unten. Im Unterricht übt man unten, sich nach denen oben zu
    richten.

    In unseren Schulen wird nicht gelernt sondern LERNEN durch Unterricht
    vereitelt. Unsere SCHULEN sind auch das gerade Gegenteil von Schule und
    die Lehrer dort sind KEINE LEHRER sondern als Lehrplanvollzugsbeamte
    angestellt. Sie vermitteln, bringen bei und drängen dazu, sich zu
    unterwerfen, einzufügen und mitzumachen. Eben dadurch machen sie LERNEN
    zunichte. LERNEN bedeutet: eine Fährte des Lebens verfolgen, eigene
    Erfahrungen sammeln.

    Dass Hüther und Precht gemeinsam aufzeigen, was unerträglich ist und wo
    es in Richtung LÖSUNG gehen könnte, ist doch schon mal was. Als
    Ich-kann-Schule-Lehrer tät ich dann noch in den TV- und
    Zeitungsredaktionen Herkunftswörterbücher anregen; dann wissen wir
    womöglich bald, was wir sagen, und können das, was wir tun damit neu
    überdenken. Guten Erfolg!

    Franz Josef Neffe

    • Ihre Kritik am Schulsystem teile ich durchaus, aber durch reine Plausibilitätserwägungen kommen wir nicht weiter. Viele fragen sich, wie Schule besser gestaltet werden kann und wie wir sie finanzieren. Ich bin mir zum Beispiel unschlüssig, ob ein Willkürlernen tatsächlich Erfolge bringt. Was sie aufstellen ist schließlich eine Hypothese und dabei frage ich mich, ob das Herkunftswörterbuch den richtigen Gebrauch dieser erklärt.

      • Franz Josef Neffe sagt:

        Die FEHLER des sog. Schulsystems zu benennen, dient sinnvollerweise nur dem Zweck, aufzuzeigen, was wo FEHLT. Wenn wir mit den Kräften & Talenten, denen es fehlt, so umgehen, dass sie es annehmen und daraus wachsen, stark werden und ihre Lebensaufgaben künftig immer besser bewältigen, zeigt uns Prüfung, dass wir auf dem richtigen Wege sind. Die Möglichkeiten der Ich-kann-Schule, die ich heute beschreibe, habe ich ca. 40 Jahre langt erprobt und geprüft. Dass ich das Herkunftswörterbuch dabei als bedeutend aufschlussreicher als all die päd. Theoriedefinitionen, mit denen nie ein praktisches Problem gelöst wurde, herausstelle, ergibt sich aus praktischer Erprobung und Prüfung. Ich berichte Lösungen sinnvollerweise da, wo ich danach suchen sehe und selbst schon welche erfahren habe. Jeder kann damit anfangen, was ihm beliebt. Wenn man einmal nachgeprüft hat, was Worte wie Schule, Lernen, Lehren, Gynmnasium, Mathematik, Deutsch usw. bedeuten, fällt auf, dass wir alles, was mit Schule zu tun hat, in sein Gegenteil verkehrt haben. Wenn das erkannt ist, könnte man ja der Frage nachgehen, ob das etwas damit zu tun haben könnte, dass in der Schule soviel verkehrt läuft. Wenn ich nun in einem kleinen, praktischen Ich-kann-Schule-Experiment umkehre, wird es interessant, ob es dann besser läuft oder noch verkehrter. Ich meine, wenn wir nicht bloß mit Stielaugen auf die großen „wissenschaftlichen Apparate“ schauen sondern selbst die Elemente der Wissenschaft wie Experiment und Prüfung im konkreten Alltag nutzen, dann haben wir statt abstrakter Ergebnisse für die Diskussion konkrete Ergebnisse für den Alltag.
        Ich danke für Ihre Antwort und grüße freundlich.
        Franz Josef Neffe

        • Lieber Herr Neffe, wir sind uns beide einig, dass die Schule reformiert werden muss und dass es oftmals an der mangelnden Qualität der Lehrer liegt, ihren Unterricht so zu gestalten, dass mehr Vertrauen in die Schüler gelegt wird. Ihre praktische Prüfung ist leider ein Einzelfall (so hört es sich zumindest an). Ich bin kein Fan von großen pädagogischen Konzepten, sondern ich interessiere mich für eine Kombination aus theoretischer Erwägung, praktischer Prüfung und wissenschaftlicher Prüfung. Bei der Prüfung lege ich besonderes Augenmerk auf die statistische Auswertung, da alles andere auf Selektionsfehlern oder Beobachtungsfehlern beruhen kann. Gerade hierin liegt meine Kritik an Precht und Hüther. Sie stellen Hypothesen auf ohne diese entsprechend zu untermauern. Verstehen sie das Vorgehen. Es gibt so zum Beispiel einige Wunderheiler, die schlicht behaupten: „Wer heilt hat Recht“. Nun bei einer Heilung, kann es sich aber immer um ein zufälliges Ergebnis handeln. Ich behaupte beispielsweise „Ich heile ihren Schnupfen durch Handauflegen“ und den nächsten Tag ist der Schnupfen verschwunden. Ich bemühe dann vielleicht sogar um ein sehr schlüssiges, theoretisches Konzept. Dies heißt aber nicht, dass der Schnupfen nicht von allein den nächsten Tag verschwunden wäre. Nehmen wir nun eine Doppelblindstudie und weise ich nach, dass ich 1000 Menschen mit einer höheren Heilungsquote als eine Placebokontrollgruppe behandle, dann haben wir einen guten Nachweis. Ich behaupte wir müssen lernen, derartige Fehler für pädagogische Annahmen auszuschließen. Ich hoffe sie stimmen mir hierin zu. Leider müssen wir erst Gelder für derartige Forschung mobilisieren. Und ja auch diese Forschung muss unablässig kritisiert werden.

          Freunliche Grüße aus Pittsburgh

          • Franz Josef Neffe sagt:

            Ich meine nicht dass es an der mangelnden Qualität der Lehrer liegt sondern vielmehr an der Qualität der Pädagogik, die sie anwenden. Ich meine auch nicht, dass die „Schule reformiert“ werden muss; sie ist ja de facto das Gegenteil von Schule und müsste überhaupt erst einmal SCHULE werden. Bei praktischer Prüfung kommt es auf Genauigkeit an, und so sehe ich auch, wie man fast überall die verkehrten Probleme zu lösen sucht. Davon werden die tatsächlichen Probleme natürlich nicht kleiner.
            Dem Modell von kluger Betrachtung und Überlegung mit sorgfältiger Prüfung könnte ich folgen. Was wir allerdings mit Studien und Statistiken treiben, halte ich schlicht für Unfug. Hinter den Doppelblindstudien mit 1000 Probanden verstecken sich alle Nichtkönner, die keine praktische Verantwortung leben. Sie helfen keinem einzigen von den 1000 Menschen konkret und auch sonst niemand. Sie spielen nur die Kommödie von der herrschenden Wissenschaft, sie dienen zu nichts und niemandem.
            Da bevorzuge ich doch den Handaufleger, den i.d.R. nur Leute „Wunderheiler“ nennen, die weder von Handauflegen noch von Wundern noch von Heilen eine konkrete parktische Erfahrung haben. Wenn der Handaufleger sein Tun verantwortet, ist es ok. Auch die Wirkung von Handauflegen kann recht gut nach den Grundregeln der Wissenschaft prüfen.
            Es geht kein bisschen dabei ums Rechthaben. Von Rechthaben gehen keine Schmerzen weg oder verbessern sich nicht die Lebensfunltionen entscheidend. Wir sollten endlich die fruchtlosen Theoriediskussionen reduzieren und über konkrete praktische Ergegebnisse ins Gespräch kommen. Auch von Doppelblindstudien gehen keine Schmerzen weg etc., dafür braucht es praktisches, persönliches Handeln und Sorgfalt dabei.
            Ich kann dem nichts abgewinnen, wenn wir immer nach Geldern für Theorien rufen, und uns vor dem verbindlichen praktischen Handeln drücken. Statt über 1000 Leute weise daherreden zu können, löse ich lieber mit etwas weniger Leuten ein konkretes Problem.
            Ich grüße freundlich.
            Franz Josef Neffe

          • Ich gehe leider nicht davon aus, dass wir bei allen Disziplinierungsversuchen über die Schule in dieser Weise hinauskommen werden. Ihre vorgeschlagene Ich-Kann-Schule erscheint mir humanistisch, aber doch gleichwohl überhöht. Ein Konzept in der Art zu verallgemeinern, birgt Risiken. Sehr wohl weiß ich aber, um die Kräfte, die sich in einer guten Lehrsituation verbergen. Ich weiß sehr wohl um die Kraft, die auch aus geringen Gruppen und individualisierter Problembetrachtung entspringt.

            Sie aber verweigern im Gegensatz die Produktivität eines Systems, das eben doch auch Erfolge erzielt hatte und seien wir ehrlich, so argumentieren wir doch beide unter dem unentrinnbaren Schleier ein System nicht etwa seinsmächtiger zu machen, sondern sich des Seienden mehr zu ermächtigen. Unsere Disziplinierungsversuche zielen doch auch nur darauf, die Macht über die Lernstrukturen zu bestimmen (Schauen sie doch nur, wie sie auf Herkunftswissen verweisen. Dieses halte ich für elitär und an dieser Stelle muss ich anmerken, dass ich alte Sprachen studiert habe). Mir erscheint, dass bei ihrer Argumentation Machtstrukturen durch andere Machtstrukturen ersetzt werden.

            Nun ich gehöre zu jenen Nichtkönnern der Wissenschaft und vertraue selten bloßen Plausibilitätsargumenten. Handaufleger können vielleicht ihre Wissenschaft im privaten Bereich rechtfertigen, vor Gesellschaften aber müssen Beweise her, ansonsten verschwenden wir leider Potenzial, das in gleicher Zeit hätte nützen können. Deutschland zieht ja gerade eine Esoindustrie im Rücken der Pharmaindustrie auf und das heißt nicht, dass ich mit der Argumentation die Pharmaindustrie stützen möchte. Ich will nur nicht noch eine zweite Sippe, die sich nach den Regeln der Ausbeutung bedient. Wer hätte schon etwas dagegen, wenn ein Vertrauter oder eine Vertraute jene lebenswichtige Nähe praktiziert. Da gehen aber Menschen zu Fremden, die sich mit dem Schein eines Mythos umhüllen, der sich nur gegen die Macht der stärkeren Wissenschaft wendet und die Verzweifelten müssen vertrauen.

            Nun ich verstecke mich doch hinter dem, was im Gegenteil nur klares Wissen aufbieten kann, eine Doppelblindstudie ist der Goldstandard. Alles andere bleibt schwammig und ungenau, produziert gar gefährliches Wissen. Da mögen Sie noch so sehr theoretisch eben auf praktisches Handeln verweisen. Letztlich bleibt jeder Beweis Papierwissenschaft. Nun mag jemand argumentieren, es käme eine zweite Welt dazu, die Wissen nur so speichere. Ich sage aber, nun Doppelblindstudien haben nichts gegen die zweiten Welten, aber offenbar beweist sie niemand. Auch als Wissenschaftler hätte ich nichts gegen Heiler, wenn es sie gäbe.

          • Franz Josef Neffe sagt:

            Disziplin kommt von lat. „caput = Kopf“ und „dis = auseinander“. Mit solchen Begriffen denke und arbeite ich nicht.
            Die Ich-kann-Schule ist im ürbigen kein Haus sondern ein praktisches Konzept, mit dem ich seit über 35 Jahren regelmäßig praktische LÖSUNGEN suche und finde, die bei der Pädagogik unserer Lehrplanvollzugsanstalten zuvor immer nur gewachsen statt geschwunden sind.
            Mich interessiert es nicht, über diese „Schule“ hinauszukommen. Mich interessiert Lebensbewältigung, und die geht weit über Schulbewältigung hinaus. Kleine Gruppen brauche ich dafür nicht, nur etwas was konkret spürbar hilft. Wenn Pädagogik wirklich hilft, wird die Wirkung durch die Anzahl der Beteiligten multipliziert. Wenn sie nicht hilft, allerdings auch. Wenn Pädagogik in großen Gruppen nicht hilft, kann sie es in kleinen auch nicht. Wir brauchen nicht andere Gruppengrößen sondern eine andere Pädagogik: eine Pädagogik, die hilft.
            Ich wünsche uns guten Erfolg.
            Franz Josef Neffe

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