Intelligenz durch Drogen steigern? Ritalin versus Selbstdisziplin

„Ich war blind doch jetzt kann ich sehen. Eine Tablette täglich und ich war ohne Limit“ Der Verlierer Eddie Morra entdeckt eine Pille, die seine Intelligenz um das 1000-fache steigert. Es ist der alte Traum der Seelentaucher: Dort im Inneren der Seele (und Seele ist ein Wasserwort) verbirgt sich eine Perle, die einmal gehoben, den Schatz des Selbstseins mit hervor reißen würde und so formuliert es auch der Film: „Wie viele wissen schon, wie es ist, eine perfekte Ausgabe seiner selbst zu werden!“ (Animated Gif from: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:User-FastFission-brain.gif&filetimestamp=20050718175139 Author:  Fastfission Gnu-License CC_BY_SA 2.0)

Der Film spielt mit den Tagträumen vom besseren Ich. Mit Kung Fu spontan für das Gute eintreten, mit Weltgewandheit in verschiedenen Sprachen brillieren, auf dem Klavier die Welt erklären, allseits gebildet sein und mathematisch vertrackte Probleme an Spiegeln in Toiletten lösen:

All diese Fähigkeiten könnten wir mit hoher Intelligenz schnell erwerben. Warum wir das im Allgemeinen wollen? Intelligenz bringt Anerkennung. Es geht daher nicht selten nur um das Bestehen vor sich selbst, sondern zumeist auch um das Bestehen vor anderen. Darum ist es verlockend nicht durch persönliches Wachstum, sondern durch Abkürzungen zum Traum von uns selbst zu gelangen. Viele glauben derweil Ritalin wäre diese Wunderdroge, um letztlich die bessere Ausgabe von sich selbst zu erzwingen und sich selbst vor einer Gemeinschaft zu veröffentlichen. Aus einem Beitrag bei Deutschlandradio geht nun aber hervor, dass die Wunderpille eher bei Gestörten als bei Gesunden funktioniert (Belege bleiben aus). Diese ohnehin Konzentrierten würden im Gegenzug sogar in ihrer gewohnten Kreativität nachlassen.

Ritalin (in den USA freiverkäuflich?) Urheber: Alfie (Wikicommons CC_BY_SA 2.0)

Journalistisch gut recherchiert, allerdings ohne nennenswerte Studien, dafür aber gespickt mit ein paar protzenden Professoren, so sieht der Beitrag bei Deutschlandfunk aus. Viel mehr Erkenntnisse als vage Andeutungen verschafft der Beitrag daher auch nicht. Das beste, was es hier nun in den Weiten des Internets zu diesem Thema gibt, ist immer noch der Erfahrungsbericht eines Studenten in der ZEIT, der ein paar Pillen Ritalin zur Prüfungsvorbereitung nutzt (ich frage mich, wann die Professoren selbst anfangen gescheite Texte zu veröffentlichen):

Ich bin ein Zombie und ich lerne wie eine Maschine

Ritalin sei demnach Kokain in geringerer Dosierung und senke den Dopaminspiegel in den Zellen. Dies reduziere die Impulse, verhindere Ideen und Geistesblitze und führe damit zu konzentrierten und konsequenten Menschrobotern. In den USA seien so schon ein Viertel der Studenten auf Ritalin, während jeder fünfte Professor die Pille schlucke (Belege bleiben aus). In dem Artikel selbst warnt jedoch ein Experte (mit dem bezeichnenden Namen „Hüther“):

»Sie haben auf nichts mehr Lust, Ihre ganze Emotionalität und Affektivität ist zugedröhnt. Sie empfinden keine Neugier, kein Bedürfnis nach menschlichen Bindungen und sind weniger kreativ. Deshalb nehmen eher BWL- und Medizinstudenten Ritalin, weil dort weniger Kreativität verlangt wird.« (http://www.zeit.de/campus/2009/02/ritalin/seite-2)

Warum aber nehmen dann immer mehr diese Droge zu sich? Der Autor des Artikels räsonniert: Ritalin sei eine moderne Vernunftdroge. Wo Schulen versagen, intrinsische Motivation zu fördern, wo Menschen, die ihre Pflichten nicht allein erfüllen können, stetig vom anderen, anerkannten Menschen in ihnen träumen, würde diese Pille gerne geworfen. Die Frage aber bleibt: Kann Ritalin aus uns andere Menschen machen? Ist es nur ein chemischer Hebel, den wir umlegen und schon keimt in uns ein Mozart und schlägt seine Wurzeln und treibt seine Blüten? Es muss schon ein merkwürdiges Gefühl sein, die Geburt eines anderen Selbst in sich zu erleben. Aus meinen Freundeskreisen heißt es so auch, Ritalin einmal verkonsumiert, führe dazu, dass ich alle meine bisherigen Arbeitsleistungen in Frage stellen würde.

_Pg 226 Our BrainBei Deutschlandradio allerdings fällt die Kritik negativ aus. Szenarien wie im Film „Ohne Limit“ sind noch ferne Zukunft und die Frage ist, ob sich ein Gehirn chemisch so schnell umschalten lasse. Suggestionseffekte bei Substanzen, die uns mental auf die Höhe bringen sollen, sind im Ãœbrigen sehr hoch, es könnte sein, dass Ritalinkonsumenten zugleich auch immer an einen besseren Menschen in sich glauben. Es gelte demnach weiterhin der Grundsatz, dass nur harte Arbeit an sich, den besseren Menschen hervorbringt. Effekte im Lernen stellen sich nicht in drei Sekunden ein und Ritalin hilft zwar, besser für eine Prüfung zu lernen, es hilft aber nicht drängende Probleme anzugehen, die keine Lösung nach Arbeitsrhythmus versprechen.

Bei der Vorstellung, dass unsere Kultur ihre Intelligenzleistung noch stark potenziert, stellt sich ebenso die Frage, was unsere kümmerlichen Versuche, unser Gehirn ein wenig zu aufzuputschen eigentlich bringen. Vielmehr ist es vorstellbar, dass die Menschheit hinüber zur kollektiven Intelligenz driftet, die eine Verknüpfung mit Elektronik eingeht und damit Bewusstseinsschranken in ganz anderen Dimensionen niederreißen wird. Niemand braucht dann mehr den aufgeputschten Einzelkämpfer, der in der BWL-Prüfung um bessere Noten fightet.

Ritalin ist heute etwas anderes. Es verkommt wie beispielsweise auch autogenes Training zur Funktionsdroge. Das heißt, wir glauben, dem Druck der Gesellschaft gerecht zu werden, passen uns dem Leistungsdruck an und repräsentieren uns besser nach außen, das indem wir einen Ruhigsteller aus dubiosen Gründen akzeptieren. Wir unterdrücken uns selbstständig und gerne, öffnen das Gewässer in unserem Kopf und punschen den Wein mit neuen Säften. Diese scheinbar gewaltlosen Formen der Ruhigstellung sind gesellschaftlich erwünscht. Seelische Probleme sollen schon lange mit Medikamenten gelöst werden.

Ritalin verspricht nur eine Abkürzung zum besseren Selbst, das bessere Selbst aber gibt es aber nicht durch die Erfüllung von Sozialstandards wie Noten. Nur wenn wir an unsere Grenzen gehen und uns herausfordern, haben wir letztlich auch das Bessere in uns verdient. Ritalin aber deutet allein den Körper als Grenze und geht nicht auf unsere persönliche Entscheidung zurück, etwas an uns zu verändern. Niemand wird gut, weil er sich eine gute Seele kauft, sondern weil er sich für das Gute entscheidet. Gleiches gilt für das Lernen: Mit Sicherheit gibt es Abkürzungen bei bestimmten Lernmaterialien, aber um besser zu werden, müssen wir eine natürliche Form des Masochismus wählen, wir müssen an uns selbst leiden und uns überwinden wollen. Es liegt daher der Verdacht nah, dass das Gute und das Besser-sein-wollen irgendwie zusammengehören müssen. Das Schlechte an uns muss somit aufgearbeitet werden, um es in Besseres zu verwandeln.

Das Schlechte an uns gilt es jedoch möglichst schnell zu überspringen. Nicht nur Ritalin begleitet uns hier; wir suchen auch natürliche Wege dorthin. Bequemlichkeitsfakten sind hierbei hilfreich: Beeren helfen zum Beispiel (eigens von Lumosity erhobene Studie, wonach Frauen, die mindestens dreimal im Monat Blaubeeren aßen, signifikant bessere Ergebnisse erzielten) und bei  humannews gilt auch dunkle Schokolade mit hohem Kakaoanteil als Gehirnleistungsförderer (ebenfalls belegt durch Studien). Vor allem der gegenwärtige Rechenweltmeister würde davon profitieren:

„Wissenschaftliche Untersuchungen geben dem Mathe-Großmeister Recht. Eine Studie der University of Nottingham* hat gezeigt, dass der Verzehr von Schokolade mit sehr hohem Kakaoanteil die Durchblutung in zentralen Gehirnregionen fördern kann. Diese bekämen dadurch mehr Sauerstoff, was wiederum zu einer gesteigerten Wahrnehmung und verbesserten Leistungsfähigkeit führe. Ursache dafür seien die in Schokolade enthaltenen Flavonole, die die Blutgefäße weiten. Dieser positive Effekt hält über einen Zeitraum von zwei bis drei Stunden an, also auch lange genug für einen Denksport-Wettbewerb. Flavanole sind jedoch nicht nur in Schokolade mit hohem Kakaoanteil enthalten, sondern finden sich auch in Rotwein, grünem Tee oder Blaubeeren.“ (humannews)

Mit natürlichen Substanzen an der Heimatfront "Körper" gegen sich selbst kämpfen. GNU-Lizenz (Bild verlinkt)

Mit natürlichen Substanzen an der Heimatfront "Körper" gegen sich selbst kämpfen. GNU-Lizenz (Bild verlinkt)

Wenn nicht Ritalin, vielleicht tun es dann also natürliche Nahrungsmittel? (Zu einer Reihe von angeblich förderlichen Lebensmitteln und der gehirngerechten Ernährung hatte ich ja schon einen Beitrag verfasst) Andernorts heißt es: Keine Schokolade, keine Blaubeeren , aber auch kein Ritalin bringen uns zum besseren Selbst, wir müssen es im Gegenzug allein schaffen. Es gilt: Das Gehirn aber wirklich zu trainieren, ist Schwerstarbeit. Bei Deutschlandfunk gibt man zudem neben allen Methoden der Selbststeigerung noch moralisch zu bedenken:

„Stellen Sie sich die beschwerliche Methode vor, Chinesisch zu lernen und nehmen wir per Science-Fiction mal an, das kann man durch die Implantation eines Chips im Gehirn von jetzt auf gleich herstellen … dagegen hätte ich nichts einzuwenden. Andererseits: Stellen Sie sich einen implantierten Chip im Gehirn eines Komponisten vor, der eine wunderbare Sinfonie komponiert, die ausschließlich von dem Computerchip komponiert worden ist. Da würden wir alle sagen, sollen wir das wirklich bewundern?“ http://www.dradio.de/dlf/sendungen/studiozeit-ks/1502705/

Die Intelligenz ist nicht nur ein Naturereignis, sondern auch immer Resultat einer Entscheidung; einer Entscheidung des Individuums. Damit aber ist es eine Frage der Lebensentscheidung, die im Griechischen noch mit Ethos ihr Wort fand. Einen Ethos finden, darum ging es auch in den alten Schriften des Sua Ten „Der Prophet und sein Weg“: „Seelentaucher heben Schätze in den Seelen, die in keinem Außen mehr zu finden sind.“ Nach dieser Ãœberlieferung stellt sich daher immer die Frage, wie Intelligenz, Ethik, Weisheit und Moral letztlich in der Frage der Selbststeigerung verknüpft sind und genau hierin besteht bewusstes Lernen.

Wenn euch der Beitrag gefällt, dann abonniert, entweder per E-mail oder tretet der Facebookgruppe bei, wo wir auch immer neuere Erkenntnisse aus diesen Bereichen posten. Einen weiteren Beitrag zum Ritalin habe ich auf netzwerkB veröffentlicht: http://netzwerkb.org/2012/06/04/die-sorglose-reduzierung-des-menschlichen-korpers/

Norman Schultz

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10 Antworten auf Intelligenz durch Drogen steigern? Ritalin versus Selbstdisziplin

  1. Pingback: Das Genie in uns mit Ritalin aufspüren – Erster Teil der Artikelrecherche zum Thema Ritalin | Bewusstes Lernen

  2. Christian Droßmann sagt:

    Durch Deinen Kommentar in meinem Blog habe ich Deines gefunden und es birgt für mich eine Menge Kommentarpotenzial ;) Wenn Du auch beu mir etwas gestöbert hast, wirst Du wissen, dass diese Sparte (klinische Psychologie etc.) zu meinem Hauptinteressengebiet gehört.
    Ich schreibe dazu vielleicht einen eigenen Eintrag, aber da ich gleich zur Arbeit muss nur soviel:
    Ritalin ist in den USA eine Schedule II Controlled Substance und somit NICHT frei verkäuflich!
    ..was aber wie in Deutschland niemanden, der es haben will, über die üblichen Wege trotzdem dranzukommen ;)

    Gruß,
    cd

  3. Christian Droßmann sagt:

    Durch Deinen Kommentar in meinem Blog habe ich Deines gefunden und es birgt für mich eine Menge Kommentarpotenzial ;) Wenn Du auch beu mir etwas gestöbert hast, wirst Du wissen, dass diese Sparte (klinische Psychologie etc.) zu meinem Hauptinteressengebiet gehört.
    Ich schreibe dazu vielleicht einen eigenen Eintrag, aber da ich gleich zur Arbeit muss nur soviel:
    Ritalin ist in den USA eine Schedule II Controlled Substance und somit NICHT frei verkäuflich!
    ..was aber wie in Deutschland niemanden, der es haben will, über die üblichen Wege trotzdem dranzukommen ;)

    Gruß,
    cd

    • Ich habe mir schon gedacht, dass das wieder so ein USA-Mythos ist. So liberal sind die Herren hier dann doch nicht. Das klinische Psychologie auch zu deinen Interessen gehört, habe ich noch nicht erkundet, aber du bist in meiner RSS-Liste ;)

  4. Pingback: Wir brauchen mehr Drogen! Aber brauchen wir auch Intelligenz? » Die ganze Welt des Wahnsinns

  5. Pingback: Bewusstes Lernen – Autogenes Training, Ritalin und mein neuer Blog – Philosophie EntGrenzen – Die Wissenschaft der Wissenschaften

  6. Pingback: Tim Ferriss “The 4 hour chef” und Metalernen – eine Methode, um alles zu lernen | Bewusstes Lernen

  7. Michael sagt:

    Ein weiterer guter nichtkommerzieller Link für den oben erwähnten Artikel wäre ritalin-kritik.de – Dort kommen Betroffene zu Wort, die durch Ritalin geschädigt worden sind.

  8. Pingback: Gehirn Pillen Lösung Stellen Sie Die | Limitless Brain

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